Über die Individualität des Alterns


Über die Individualität des Alterns 

Mit dem Wort Alter werden vielfältige Vorstellungen verbunden. Geprägt werden diese Auffassungen sowohl durch unsere Erfahrungen mit älteren und alten Menschen, als auch durch den kulturellen und gesellschaftlichen Kontext, in dem wir leben. 

Individuelles Alter

Die Weltgesundheits-Organisation (WHO) unterscheidet zwischen älteren Menschen (60- bis 75jährigen), den alten Menschen (75- bis 90jährigen), den sehr Alten oder Hochbetagten (den über 90jährigen) und schließlich den Langlebigen (den über 100jährigen). Diese Altersbegrenzungen sind lediglich ein Orientierungswert. Altern vollzieht sich sozial, kulturell und individuell enorm verschieden. Gesundheit, Aktivitätsgrad und Selbstgefühl tragen zu einem subjektiven Alterungsprozess bei. „Altern ist heute primär soziales Schicksal und erst sekundär funktionelle oder organische Veränderung“ (Thomae (1969), S. 23). 

Eine Individualität des Alterns lässt sich nicht nur an Unterschieden zwischen einzelnen alternden und älteren Menschen wahrnehmen (interindividuelle Unterschiede), sondern auch an verschiedenen Varianten des Alterns, die ein einzelner Mensch im Laufe seines Alterns zeigt (intraindividuelle Unterschiede). 

Dies soll im folgenden durch eine skizzenhafte eher allgemeine Betrachtung der Bilder und Sichtweisen des Alterns in der Geschichte dargestellt werden.
Beginnen möchte ich jedoch mit der Frage: Was ist Altern? Einem definitorischem Ansatz:


Definition des Alterns

Altern ist, wie bereits erwähnt, ein lebensumspannender Prozess, der individuell durchlaufen, empfunden und durch die Summe lebenslanger Einflüsse bestimmt wird. Altern erfolgt somit nicht als ein einziger Prozess, sondern zeigt sich bei jedem Menschen auf unterschiedlichen Ebenen. Die Frage die sich stellt ist: Von wo gehen die entscheidenden Wirkungen des Alterns aus?

Die wichtigsten Ebenen hat Rosenmayr folgendermaßen zusammengefasst:
1.     die Ebene der biologischen und körperlichen Veränderungen,
2.     die Ebene der sozialen Veränderungen,
3.     die Ebene der psychologischen Veränderungen.
  
Zu 1. „Altern ist eine vielschichtige naturhafte Veränderung des Lebendigen, die durch Verluste und Einschränkungen gekennzeichnet ist“. Da fast alle Alterungsprozesse zwar entsprechend einem genetischen Programm ablaufen, aber niemals nur biologisch gesteuert sind, können die Verluste durch die Selbststeuerung des Organismus und durch Außenbeeinflussung korrigiert und kompensiert werden. 

Körperliche und biologische Altersveränderungen sind, soweit sie äußerlich sichtbar sind, allgemein bekannt: Das Ausmaß an Muskelgrundsubstanz verringert sich mit dem Alter, die aus Fasern bestehenden Festigungsstoffe gehen in der Skelettmuskulatur, in den Sehnen, Knorpel und im Bindegewebe zurück. 

Des weiteren ist ein Nachlassen der Vitalkapazität, der Organkraft, sowie Hautfaltenbildung - um nur einige zu nennen, zu beobachten. Sie zeigen sich bei verschiedenen Personen in höchst unterschiedlichem Ausmaß und zu unterschiedlichen Zeitpunkten ihres Lebenslaufes. Zu betonen ist, dass diese Veränderungen keinen Krankheitswert besitzen. Der biologische und körperliche Alterungsprozess ist von der Entwicklung von Krankheiten deutlich abzugrenzen. Altern ist keine Krankheit, obwohl statistisch gesehen im Alter die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung steigt (Multimorbidität). 

Auch ist im Alter die Rekonvaleszenzzeit verlängert, die Zeit, die der Körper zur Erholung generell benötigt, speziell zur Erholung von Krankheiten. 
 
Ein anderer Faktor ist die Verringerung der Erneuerungsfähigkeit der Zellen, da menschliche wie tierische Zellen nur eine begrenzte Teilungsfähigkeit haben.

Die immunologische Forschung berichtet über vermehrte Antikörper-Bildung gegen körpereigene Gewebe, die Bildung von sogenannten Auto-Antikörpern, im alternden Organismus. Altern und Tod ergäben sich demnach aus einer Art organischer Selbstzerstörung.

Zu 2. Gesellschaft und Kultur
Es gibt kein biologisches Altern beim Menschen ohne soziale und kulturelle Einwirkungen und Überformungen. „Der Mensch kann als ein durch Beziehungen zur Umwelt gesteuertes und kulturgeformtes, entwicklungsoffenes System betrachtet werden“.

Sowohl zielgerichtete psychische Entwicklung, als auch die der Kultur in Religion, Ethik, Dichtung und Kunst eingeschriebenen Modelle wirken beim Menschen auf die biologischen Alterungsprozesse zurück. So prägt eine Kultur Bilder und Regeln aus, die eine hintergründige Einflusskraft auf die Bestimmung dessen entwickeln, was als alt oder jung angesehen wird und wie die Lebensalter bewertet werden.

Zu 3. Rosenmayr fasst die psychologische Variante unter „Bestimmung von Selbstsorge und Glück“ zusammen. Neben den äußeren Einflüssen, wie durch Geschichte und Gesellschaft, kann unser Körper zu einem gewissen Grad von uns selbst beeinflusst werden. Die Einstellung, die wir zu unserem Körper haben, entscheidet über Wohlergehen, über körperlich-seelische Leistungschancen und Erfüllungsmöglichkeiten.

Aristoteles prägte die Vorstellung der sogenannten „Eudaimonie“, einer inneren Zufriedenheit und des Glücks (eu = gut, daimon = innere Seelenkraft, „Geist“). Auch für die mittelalterliche-christliche Ethik blieben die vier Tugenden oder Grundfähigkeiten Klugheit, Mut, Maßhalten und Gerechtigkeit als „natürliche“ innere Kräfte des Menschen im Vordergrund. Glaube, Liebe und Hoffnung sollten diese dazu „übernatürlich“ erhöhen.

Für die antiken Denker setzte inneres Glück noch Selbstgenügsamkeit voraus. Dort setzt Rosenmayr an: Die innere Glücksbestimmung wird entscheidend für die psychische und physische Gesundheit.
Altern geschieht immer in der Auseinandersetzung mit der sozialen und physikalischen Umwelt, mit den Werten und Normen, die in einer Gesellschaft jeweils gültig sind. 

Wichtig ist die ergänzende historische Sicht des Alterns. „Die Geschichte formt in jeder sogenannten Kohorte – einen durch gemeinsamen Ursprungszeitraum gekennzeichneten Bevölkerungsschnitt, der im Lebenslauf einem bestimmten geschichtlichen Prozess unterworfen wird– Altern verschieden aus.“ Altersbilder und Altersrealität ändern sich stark mit der Arbeitsteilung, dem Wertewandel und der gesellschaftlichen Einschätzung der Lebensalter. Unter diesem Gesichtspunkt ist alles Altern geschichtlich zu verstehen.

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